Es wurde besser, der Gegenwind ließ nach und auch der anfängliche Regen legte eine Pause ein. Der Besuch in Verdun hatte mich tief beeindruckt. Grübelnd fahre ich gen Thionville und nehme die Strapazen auf dem Rad nur noch peripher wahr.
Auf dem Weg von der deutsch-französischen Grenze in Richtung Verdun bin ich an vielen Orten vorbeigekommen, die von der kriegerischen Vergangenheit mit dem deutschen Nachbarn zeugen. Neben der Maginot Linie, die ich gleich hinter der Grenze passiere, stosse ich immer wieder auf Gedenksteine und Soldatenfriedhöfe aus den Kriegen von 1870/71, dem 1. und dem 2. Weltkrieg.
Nie wieder darf sich derartiges wiederholen, nie wieder dürfen sich die Menschen aufeinander hetzen lassen, denke ich und es beruhigt mich jedesmal wenn ich auf Tafeln an Ortseingängen die Namen der deutschen Partnergemeinden lese.
Einen Tag später komme ich durch den kleinen Grenzort Schengen, wo 1985 die BeNeLux-Staaten, Frankreich und Deutschland ein Abkommen unterzeichneten, dass zum Ziel hatte die Grenzkontrollen zwischen diesen Ländern aufzuheben. Wieder ein Schritt der zeigt, dass man zukünftig miteinander, anstatt gegeneinander gestalten möchte.
In Wasserbillig schlage ich mein Nachtlager auf und trinke ein paar Bier mit einem Reiseradlerpärchen aus der Schweiz. Nette Leute, Rad-erfahren und äußerst humorig.
Der nächste Tag hält knackige Anstiege, hohe Temperaturen und ca.165 Km Strecke für mich parat. Über den Enztalradweg möchte ich auf den Vennbahnradweg gelangen, der mich bis nach Rötgen in die Nähe von Aachen führen soll. Allerdings verpasse ich einen Abzweig und muss mir fluchend, über giftige Anstiege hinweg meinen Weg zurück auf den Bahntrassenweg suchen. Passend, dass im Augenblick größter Resignation und Verzweiflung jenes Straßenschild am Wegesrand auftaucht:
Für alle denen es nicht bekannt ist, mein Nachname lautet Knauf.
Spät am Abend erreiche ich müde aber glücklich Rötgen und darf unentgeltlich auf dem Campingplatz nächtigen. Danke nochmal!
Früh am Morgen sitze ich wieder auf dem Rad, es soll warm werden und ich möchte vor der großen Mittagshitze schon ordentlich Kilometer sammeln. Mein Vorhaben an diesem Tag Duisburg zu besuchen, fällt jedoch sprichwörtlich ins Wasser. Schon vor Mönchengladbach sitzt mir eine dunkle grummelnde Wolkenwand im Nacken und ich beschließe kurzfristig meinen Kurs zu ändern und nach Norden einzuschwenken. Der Plan auf diese Weise trocken zu bleiben geht vorerst auf, kurz vor Wesel trifft es mich dann dafür um so heftiger. Triefend und nass bis auf die Haut baue ich mein Zelt auf und lausche später im Schlafsack genussvoll dem Regenkonzert. „Morgen bin ich in den Niederlanden“, denke ich bei mir. „Morgen nur eine kurze Etappe, an deren Ende deine Freundin auf dich wartet“. Beseelt von diesem Gedanken falle ich in einen gesunden Schlaf.
Der Ruhetag in Ootmarsum, einem kleinen grenznahen künstlerörtchen in den Niederlanden, tur mir gut und ich starte mit frischen Kräften in Richtung Ostfriesland. Mal auf niederländischer, mal auf deutscher Seite arbeite ich mich bis nach Bensersiel an die Nordseeküste hoch, wo ich mit einem Zeltplatzdirekt am Meer entlohnt werde.
Der nächste Tag lockt mit zwei Fährfahrten. Einmal von Wilhelmshaven über den Jadebusen nach Eckwarderhörne und danach von Nordenham nach Bremerhaven. Am Fährhafen in Wilhelmshaven muss ich allerdings feststellen, dass die Fähre nur 2 mal am Tag geht und ich gute 3 Std. werde warten müssen. Die Zeit vertreibe ich mir an einem urigen Fischstand ganz in der Nähe und führe ein tolles Gespräch mit einem älteren Pärchen, so dass ich beinahe die Fähre verpasse. Die Fähre in Nordenham fährt dafür regelmäßiger und ich kann ohne große Warterei direkt übersetzen. Spontan entscheide ich mich an diesem Abend auf einem Campingplatz wenig nördlich von Bremerhaven zu nächtigen.
Als ich frischgeduscht in meinem Zelt liege höre ein leises, hohes Summen was sich verstärkt und näher zu kommen scheint. Als ich aus meinem Zelt schaue, sehe ich weit über mir eine Drohne. Plötzlich gerät diese aus dem Gleichgewicht, überschlägt sich und fällt wie ein Stein zu Boden. Krachend durchschlägt sie ein Vordach von einem Wohnwagen und landet wüst blinkend auf dem sich darunter befindenden Tisch.
Für einen kurzen Moment ist es totenstill, bevor sich eine laut schnatternde Traube von Campern am Unglücksort einfindet. Ein kreidebleicher, glatzköpfiger Mann mittleren alters kommt herbeigestürmt. An der riesigen Fernsteuerung die er mit sich führt lässt sich erkennen, dass dieser auch der Pilot sein muss. Sichtlich unter Schock stehend wird er, der ein rotes T-Shirt mit Aufdruck „Notarzt“ und irgendetwas kleingedrucktem, scheinbar nicht ganz jugendfreiem trägt, von der Meute erstversorgt. Skurril denke ich und schlafe ein.
Die Schleusen öffnen sich und es regnet in Strömen. 30 Kilometer habe ich bereits absolviert und nehme das Wetter zum Anlass ausgiebig zu frühstücken. In dem besten Frühstücksrestaurant von ganz Cuxhaven, wie ein ehemaliger Marine-Helikopterpilot mich aufklärt.
Als sich das Wetter beruhigt fahre ich weiter. Bis nach Hamburg möchte ich an diesem Tag noch. Dort werde ich eine Woche verschnaufen und mit meiner Schwester deren Hochzeit feiern.
In Wischhafen nehme ich die Elbfähre nach Glückstadt. Kaum Land unter den Füßen, bricht das nächste Unwetter los. Schnell flüchte ich mich zu einer Imbissbude direkt am Deich, wo ich mit einem französischem Radwandererpaar was auf dem Weg von Brest nach Prag ist auf ein Ende des Regens warte. Wir stehen noch keine 10 Minuten dort, als sich zwei Radfahrerinnen am Imbiss einfinden. Sie schieben ihre Räder und eine der Beiden blutet stark aus einer Wunde am Kopf. Sie steht unter Schock und berichtet, dass Sie auf der durch Schafsdreck verschmutzten Fahrbahn zu Fall gekommen und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen sei. Schnell ist die arme Frau erstversorgt und der Ehemann benachrichtigt. Wenig später ist der auch vor Ort und bringt sie zur Sicherheit ins nächstgelegene Krankenhaus.
Mit allergrößter Vorsicht mache auch ich mich danach auf den Weg und fahre über mit Schafdreck verschmutzte Elbdeiche gen Hamburg.