Eine Woche bleibe ich in Hamburg, feiere die Hochzeit meiner kleinen Schwester und bin viel in der Stadt unterwegs. Am Wochenende zuvor hat der G20 Gipfel die Stadt in den Ausnahmezustand versetzt und es war zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Im gesamten Schanzenviertel sieht man noch deutliche Spuren der Krawalle.
Vor der Roten Flora bleibe ich stehen um ein paar Bilder zu machen, da bemerke ich ein unscheinbares Gittertor was offen steht. Vorsichtig gehe ich hindurch und komme in eine Art Hinterhof. „Komm ruhig rein“ tönt es plötzlich von der Seite. Ich schaue nach links und sehe einen Mann in seinen besten Jahren, wie er in einer gut ausgestatteten, kleinen Werkstatt an einem Motorrad rumbastelt. Direkt finden wir uns in einem intensiven Gespräch wieder und Uli erzählt mir, was genau sich am G20 Gipfel zugetragen hat. Viel erfahre ich über die Rote Flora und über die Leute die sich dort engagieren.
Nach geschlagenen zwei Stunden muss ich Uli leider Lebewohl sagen, denn ich möchte am nächsten Tag zeitig los. Gen Norden soll die Reise weitergehen, Richtung Dänemark. Uli empfiehlt mir noch den Besuch der Stadt Tönning und ich bin optimistisch diesen auch noch in meine Streckenplanung integrieren zu können.
Endlich geht es wieder raus aus der Stadt. Kurz hinter der Stadtgrenze zeigt sich Schleswig Holstein nicht unbedingt von seiner schönsten Seite und ich konzentriere mich aufs „Strecke machen“. Am Abend schlage ich mein Lager in der Nähe des berühmt berüchtigten Ortes Wacken auf und schlafe zufrieden ein.
Wind und Wetter ist das Thema des nächsten Tages. Anfangs bläst der Wind kräftig von vorn und so bin ich froh, dass ich auf vier Mitradler stoße, die ein ähnliches Tempo fahren wie ich und mich zudem mit netten, kleinen Anekdoten erheitern. Nach einem gemeinsamen Bier zu dem ich eingeladen werde, trennen sich unsere Wege wieder und ich nehme direkt die dänische Grenze ins Visier. Plötzlich ein dumpfes Rollen. Ein kurzer Blick nach Nord-West sagt mir: entweder schnell eine Unterkunft suchen oder die Fahrtrichtung anpassen und Gas geben. Letzteres erscheint mir attraktiver, da ich noch ein paar Kilometer sammeln möchte. Ich schlage nach Nord-Ost ein und setze mir als neues Tagesziel Flensburg. Mein Plan geht auf. Bis auf einige wenige Regentropfen verschont mich das Wetter und bricht erst los als ich gemütlich in meinem Zelt liege, bereit der Regentropfensynfonie zu lauschen.
Die folgende Etappe ist kurz, aber sehr nass. Mein Tagesziel lautet Kappeln, wo meine Schwester grade ihre Flitterwochen verbringt. Über welliges Terrain, begleitet von beständig stärker werdendem Regen spule ich stupide die Kilometer runter und bin heilfroh als ich endlich unter der heißen Dusche stehe.
Nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Morgen und einer ebensolchen Verabschiedung von der Familie geht es weiter. Der Tag verspricht trocken zu werden und die ersten 30 Kilometer nach Eckernförde verstreichen wie im Flug. Nach einer kurzen Rast geht es weiter in Richtung Kiel und ich bin froh, als ich auf zwei Radler treffe, die mir die Fahrstrecke nach Kiel durch gute Gespräche verkürzen.
Schon bei Flensburg hatte ich auf einem, durch das Land Schleswig Holstein, ausgewiesenen Zeltplatz mitten in der Natur gecampt. Eine solche Möglichkeit sollte es auch in der Nähe des Ortes Panker geben. Geschlagene 2 Std. fahre ich kreuz und quer durch die sagenhaft schöne Natur der Holsteinischen Schweiz, immer auf der Suche nach diesem Zeltplatz, vergebens. Entnervt schlage ich mein Zelt in fortgeschrittener Dämmerung auf einem malerischen Hügel auf. Ein traumhaft schöner Platz.
Um nicht den Unmut irgendeines Landwirts zu provozieren breche ich schon unter den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages auf. Gemütlich rolle ich durch die malerische Landschaft Richtung Travemünde, wo ich erst einmal ausgiebig frühstücke. Als ich mit der Fähre von Travemünde nach Priwall übersetze fängt es an zu regnen. Trotzdem fahre ich weiter, und erreiche nach einer guten Stunde Jamel, einen kleinen Ort bei Grevesmühlen in Mecklenburg Vorpommern. Jamel hat überregionale Bekanntheit erlangt, weil es ein Ort ist wo vorwiegend Menschen mit „Rechter Gesinnung“ leben
. Als ich in den Ort einfahre verstärkt sich der Regen derart, dass ich im einzigen Bushäuschen des kleinen Ortes Unterschlupf suche. Dort sitze ich nun eine geschlagene Stunde und hoffe darauf, dass ein jamelner Bürger vorbeikommt, um mehr über das Dorf und die dort lebenden Menschen zu erfahren. Nichts geschieht. Zweimal fährt ein Auto vorbei aus welchem ich misstrauisch beäugt werde, das wars.
Als der Regen nachlässt, wage ich eine kleine Runde über die kopfsteinbepflasterten Straßen. Der gesamte Ort wirkt sehr trostlos und in Teilen heruntergekommen. Auf vielen Grundstücken laufen Hunde welche, sobald man sich nähert, in wildes Gebell ausbrechen. In einem Vorgarten Steht ein Wegweiser, welcher die Entfernungen nach Berlin, Königsberg und Braunau am Inn (Hitlers Geburtsort) ausweist. Mir schauert es, möglichst schnell möchte ich weiter. Auf einer Veranda in der Nähe haben sich ein paar Männer versammelt, die zu mir rüberschauen. Ich nehme all meinen Mut zusammen, zücke die Kamera und mache ein Bild von besagtem Wegweiser. Dann noch eines von einer „Malerei“ an einer Garagenwand, die mit den Worten
„Treu sind Mecklenburger Herzen, von Freiheit singt der Wind“ übertitelt ist. Dann gebe ich Fersengeld.
Der Tag endet in einem Regendesaster auf einem Campingplatz in direkter Nachbarschaft zur Ostsee.
Der nächste Tag begrüßt michmit ruppigem Wind, dunklen, tiefhängenden Wolken und besten Aussichten auf erneuten Regen. Über Bad Dobermann und Rostock komme ich nach Demmin. So recht weiß ich selbst grad nicht wo ich lang soll und fliehe in erster Linie vor Wind und Regenwolken. Das Wetter bessert sich je weiter
ich nach Osten komme und ich finde in einen guten Rhythmus. Nach über 200 Tageskilometern finde ich in Voigtsdorf bei zwei Berliner Aussteigern Herberge. Es gibt selbstgebackenes Brot, selbstgezogenes Gemüse und gute Gespräche. Die Nacht verbringe ich in einem urig gemütlichen Bauwagen im Garten der Beiden, gespannt darauf, was die nächste Woche für mich bereithalten wird.