Die 5. (und letzte) Woche

Die zwei Ruhetage bei meiner Schwester im Bayerischen Wald haben mir gutgetan, auch wenn es mit dem Vorsatz die komplette Zeit regungslos auf dem Sofa zu verbringen nicht ganz geklappt hat.

Es geht direkt zur Sache. Schon nach dem 1. Kilometer geht es bergan. Zwar moderat, aber dafür über mehrere Kilometer. Es ist heiß und ich achte peinlichst darauf mich stetig mit genügend Flüssigkeit zu versorgen. Hinter Bodenmais werde ich ein Stück von einem älteren Herrn begleitet, der sich mit dem Radfahren fit hält, wie er mir erzählt. Er lässt es sich nicht nehmen mir ein paar schöne Strecken zu zeigen, von denen ich allerdings den Eindruck habe, dass sie mich nicht unbedingt auf dem schnellsten Wege an mein Tagesziel Vilshofen an der Donau bringen. Schön sind die Strecken allerdings und eröffnen so manch atemberaubenden Blick auf den Großen Arber.

Es dämmert schon als ich Vilshofen erreiche und im Zwielicht des scheidenden Tages schlage ich mein Zelt in direkter Nähe zur Donau auf.

Schon gegen 7 Uhr wache ich wieder auf. Es ist unerträglich warm und an einen weiteren Verbleib im Zelt nicht zu denken. Rasch packe ich meine Sachen, gönne mir ein leckeres Frühstück beim Bäcker um die Ecke und breche auf. Möglichst viel Strecke möchte ich machen, bevor die Temperaturen so unerträglich werden, dass ich zu einer längeren Pause gezwungen werde.

37 Grad sind in der Spitze für diesen Tag vorhergesagt und gefühlt erfüllt sich diese Vorhersage voll und ganz.

Gegen Abend, inzwischen habe ich bei Miesbach den Fuß der Alpen erreicht, verfinstert sich von Westen her der Himmel. Plötzlich geht alles ganz schnell: Blitze flackern unaufhörlich, das Grollen des Donners kommt immer näher und der Wind lebt stark auf. Mir bleibt nichts anderes übrig als in Windeseile mein Zelt auf einer kleinen, von Fichten umsäumten Lichtung, aufzubauen. Ganz wohl ist mir dabei nicht, da der Wind in Böen bereits Sturmstärke erreicht hat und ich Sorge habe von den umherstehenden Bäumen in meinem Zelt erschlagen zu werden. An Schlaf ist nicht zu denken, das Wetter scheint minütlich an Stärke zu gewinnen und mir wird arg mulmig. Schon kann ich hören, wie die ersten Bäume und Äste dem Wind zum Opfer fallen und auch die Blitzeinschläge nähern sich bedenklich. Minuten werden gefühlt zu Stunden, das Wetter scheint gar nicht weiter ziehen zu wollen. Dann setzt plötzlich ein starker Regen ein und ich stelle erleichtert fest, dass der Wind an Kraft verliert.

Langsam gelingt es mir ein wenig weg zu dämmern. Aus der Ferne dringt das Heulen von Sirenen an mein Ohr und ich bin gespannt, welcher Anblick sich mir am kommenden Tage bieten wird.

Früh am nächsten Morgen packe ich meine Sachen und breche auf. Das Unwetter in der letzten Nacht hat deutliche Spuren hinterlassen. Auf kleinen Wirtschaftswegen fahrend muss ich immer wieder anhalten, weil ein umgestürzter Baum oder abgebrochene Äste den Weg versperren.

Nachdem sich der morgendliche Nebel verzogen hat, kündigt sich ein weiterer warmer Tag an. Ruhig lasse ich es angehen und genieße die atemberaubende Natur mit ihren Bergen, Wiesen und Seen und der, noch vom Regen der letzten Nacht reingewaschenen, klaren Luft.

In der Nähe von Nesselwang beschließe ich den Tag auf einem Campingplatz am See mit einem beherzigten Sprung in selbigen – herrlich!

Und abermals weckt mich am nächste Morgen die Sonne, die schon zu früher Stunde die Temperatur in meinem kleinen Zelt unerträglich werden lässt.

Meine Beine sind müde, das merke ich in den letzten Tagen immer deutlicher. Heute werde ich ein letztes Mal auf der Reise über 2000 Höhenmeter an einem Tag bewältigen müssen, sagt mir zumindest mein schlaues Navi. Wenig motiviert schwinge ich mich auf mein Rad und erklimme den ersten Anstieg. Funktioniert besser als gedacht. Vorbei am großen Alpsee und den Buchenegger Wasserfällen durchfahre ich das Allgäu- wunderschön. Die traumhafte Landschaft lässt mich schmerzende Beine und quälende Anstiege vergessen und eh ich mich versehe, befinde ich mich schon auf dem Bodensee. Zwischen Friedrichshafen und Konstanz nutze ich den Katamaran und lasse mir auf der Fährverbindung den frischen Wind um die Nase wehen. Noch auf dem See entdecke ich dunkle Wolkenberge am Horizont, die weit in den Himmel ragen, ein untrügliches Zeichen. Da ich nicht sonderlich erpicht darauf bin ein weiteres Mal eine Unwetternacht im freien zu verbringen, setze ich mich nach meiner Ankunft in Konstanz in den Park und recherchiere Übernachtungsmöglichkeiten. Es dauert keine 5 Minuten, da gesellt sich ein älterer Herr zu mir und nach einem kurzen Gespräch bietet er mir Obdach an. Was ein Glück ich doch habe! Es ist noch nicht allzu spät und mein Gastgeber lässt es sich nicht nehmen, mir die nähere Umgebung zu zeigen. Wir besuchen den Ort an dem Jan Hus auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde, die frühere Residenz Napoleon III. in Salenstein in der Schweiz und zum Abschluss des Tages das schöne Städtchen Meersburg.

Bis spät in die Nacht diskutieren wir noch bei gutem Rotwein über Gott und die Welt, bevor ich am nächsten Tag zu meiner vorletzten Etappe aufbreche.

Das Wetter hat sich merklich abgekühlt und es geht ein ruppiger Wind. Kurzfristig habe ich mich dazu entschlossen, nicht dem Verlauf des Rheins zu folgen, sondern ein letztes Mal die Herausforderung der Berge zu suchen. Die ersten 40 Kilometer hinter Konstanz verlaufen noch einigermaßen moderat, bevor es dann mit einigen steilen Rampen hinauf auf die Höhen des Schwarzwaldes geht. Die Landschaft isr mitunter äußerst reizvoll, ansonsten bleibt der Tag aber arm an Ereignissen und ich nutze diese Gelegenheit um ordentlich Strecke zu machen. Mit den letzten Sonnenstrahlen rolle ich gemächlich das Kinzigtal hinunter, bevor ich kurz hinter Offenburg mein letztes Nachtlager aufschlage.

Der letzte Tag auf meiner Reise begrüßt mich mit Sonne und kräftigem Wind, welcher – oh große Freude – auch noch aus der richtigen Richtung weht. Die ersten 50 Kilometer vergehen wie im Flug. Der Wind schiebt mich mit aller Gewalt  dem Ende meiner Reise entgegen. Kurz wechsele ich nochmals auf die westliche Rheinseite nach Frankreich über, stärke mich mit Croissants und Kaffee und lasse im Geiste die vergangenen 5 Wochen passieren. Viel habe ich erleben dürfen, auf viele interessante Menschen bin ich gestoßen, viele tolle Landschaften habe ich durchfahren und viele neue Erkenntnisse habe ich gewonnen. Auf welche Art und Weise ich diese Erkenntnisse verarbeiten und für mich nutzen werde, das weiß ich noch nicht, ein unsagbar kostbarer Gewinn ist die Reise in jedem Fall aber gewesen.

Bei Wissembourg verlasse ich Frankreich wieder und wenige Kilometer später tauchen am Horizont die Berge des Pfälzer Waldes auf. Dunkle Wolken haben sich über dessen Gipfeln gebildet und kurz bevor ich Neustadt an der Weinstraße erreiche beginnt es zu regnen. Ein letztes Mal trete ich mit aller Macht in die Pedale, fokussiert darauf die Reise erfolgreich abzuschließen. Plötzlich öffnet sich die dunkle Wolkendecke über mir und durch einen schmalen Spalt taucht die Sonne das über Neustadt thronende Hambacher Schloss, das wichtigste Symbol der deutschen Demokratiebewegung, in gleißendes Licht. Ein gutes Zeichen denke ich und muss schmunzeln.